Kinder und Jugendliche sind nicht nur die Adressaten der neuen Enquete-Kommission, sie sind auch ihre Sinngeber. Für sie gestalten wir nachhaltige Effekte in der Bildungspolitik von NRW. Im Landtag Düsseldorf gibt es seit kurzer Zeit die Enquetekommission „Chancengleichheit in der Bildung“ und ich bin das erste Mal Mitglied in diesem Sondergremium. Bei unserem Thema möchten wir gemeinsam mit allen Fraktionen herausfinden, wie das Leben von Schülerinnen und Schülern in der Zukunft aussieht und welches Wissen ihnen vermittelt werden muss. Um hier auch Kinder und Jugendliche mit einzubeziehen, und uns ein Bild von realen Bedingungen zu machen, bleiben wir nicht nur in unserem Besprechungsraum im Landtag, sondern gehen auch raus und besuchen Schulen aller Art.
Chancengleichheit als Zielpunkt der Enquete verrät uns schon die Annahme über die Ausgangslage, in der wir uns im Schulsystem derzeit befinden. Statt direkt aber von sozialer Ungleichheit auszugehen, muss man eigentlich das Ganze sehen. Marode Schulbauten, massive Lernrückstände und fehlende digitale Ausstattung bieten kein Zentrum für einfache Erklärungen. Große Fragen erfordern große Antworten. Kaum ein anderes Bundesland ist so wie Nordrhein-Westfalen von städtischen Ballungszentren einerseits und weiten ländlichen Gebieten andererseits geprägt. Eine vielfältige Schullandschaft ist daher umso wichtiger, um den besonderen Bedingungen vor Ort und dem individuellen Förderbedarf von Kindern gerecht zu werden. Jedes Kind hat das Recht auf beste Bildungschancen. Bildung ist Kinderrecht und Bürgerrecht. Ein einheitliches Rezept für alle geht am unterschiedlichen Bedarf der Schulen und ihrer Schülerschaft vorbei. Meine Aufgabe als Politikerin ist es daher, die komplexe Dynamik frühzeitig zu erkennen und Lösungen für Folgeprobleme zu steuern.
Große Fragen – große Antworten
Was mich aktuell am meisten umtreibt: die Lehrerflucht aus dem Bildungssystem. In NRW steigen die Zahlen dramatisch an. Gleichzeitig schießen die Geburtenraten in die Höhe, Zustrom in die Schulklassen durch Migration kommt hinzu. Lehrerinnen und Lehrer haben mit sogenannter Superdiversität in den Klassen viel zu tun. Im letzten Jahr haben 800 Lehrkräfte (von 200.000) gekündigt. Unter den 800 waren auch fast 300 verbeamtete Lehrkräfte. Nicht einmal der sichere Beamtenstatus hält die Fachkräfte mehr im Bildungssystem. Die Landesregierung hat nicht nur keine Antwort darauf, sie fragt auch nicht nach den Kündigungsgründen. Schule als eine lernende Organisation stelle ich mir auch als attraktiven Arbeitgeber anders vor. In der freien Wirtschaft wird diese Frage nach der Kündigungsursache auch gestellt, um besser zu werden – allein schon wegen des immer stärker werdenden Kampf um jede Fachkraft. Kaum ein anderes Land im europäischen Vergleich zahlt Lehrerinnen und Lehrern so viel Gehalt. Dennoch greift eine stabile Mitarbeiterbindung nicht. Etliche Schulleiterstellen an Grundschulen bleiben sogar unbesetzt. Wie kommt das und wie können wir mit guter Bildungspolitik gegensteuern?
Große Fragen erfordern nicht nur große Antworten, NRW braucht konkrete Vorschläge. Deshalb stelle ich gerade für die Grundschulen in NRW fünf zentrale Fragen zur Verbesserung der Bildungschancen, die ich in der Enquete neben weiteren Herausforderungen zukünftig verfolge:
- Warum gibt es nicht schon längst mehr Praxiseinbindung im Studium? Wir Freie Demokraten fordern bereits im Bachelor ein Praxissemester. So können sich Studierende früh in der praktischen Welt erproben und herausfinden, ob der Lehrerberuf wirklich ihr Traumjob ist. Heute kommt der „Praxisschock“ erst spät, aber umso deutlicher!
- Warum wird nicht über eine angemessene Bezahlung schon in dieser Praxisphase nachgedacht? Wir Freie Demokraten fordern eine Wertschätzung, die den jungen Nachwuchs willkommen heißt und zum Bleiben motiviert. Das Praxissemester darf Studierende nicht in eine prekäre Lage bringen. Studierende, die sich für diesen wichtigen Beruf in unserer Gesellschaft entscheiden, verdienen auch eine finanzielle Wertschätzung. Kinder und Jugendliche werden es uns danken, wenn sie auf motivierte Lehrer in ihren Klassen treffen.
- Warum werden die Inhalte der Lehrerausbildung nicht einmal überprüft? Wir Freie Demokraten fordern eine pragmatische Entscheidung darüber, ob diejenigen, die Mathematik in der Grundschule unterrichten möchten, unbedingt auch höhere Mathematik zusammen mit Studierenden des Gymnasiallehramts absolvieren müssen. Natürlich müssen die Fachkenntnisse von Lehrern über den zu vermittelnden Stoff hinausgehen. Aber Kenntnisse in höherer Mathematik führen nicht zwangsläufig zu höheren pädagogische Fähigkeiten, um mit Kindern umgehen zu können.
- Warum gibt es keine duale, praxisorientierte Ausbildung von Lehrkräften? Wir Freie Demokraten fordern ein berufsintegriertes Studium. Andere Bundesländer haben schon gezeigt, dass sie sich mutig für neue Konzepte in der Lehrerbildung entschieden haben.
- Warum bleiben Klassen leer, statt hoch qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland im Bildungssystem zu integrieren? Wir Freie Demokraten fordern eine schnelle, unbürokratische Anerkennung von ausländischen Qualifikationen und eine Senkung der Sprachanforderungen an Lehrkräfte auf B2, damit der Unterrichtsausfall pragmatisch im Sinne der Kinder gestoppt wird.
Mit den besten Ideen zu den besten Bildungschancen
Konkrete Antworten und einen Konsens, der die besten Bildungschancen für Kinder und Jugendliche in NRW schafft, erhoffe ich mir gemeinsam mit den Sachverständigen. Wir Freie Demokraten haben beispielsweise Sonja Köpke von Teach First Deutschland für den Blick von außen benannt. Die Enquetekommission läuft über eine Legislaturperiode, etwa zwei bis vier Jahre. Am Ende wird dann ein ausführlicher Bericht mit den gewonnenen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen erstellt. Ich bin gespannt, mit welchen Ideen für die Zukunft wir in der Enquete starten. Nur mit Mut für Neues können wir wunderbare Lehrerinnen und Lehrer für die besten Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen in NRW gewinnen.
Kinder und Jugendliche sollen nach unserer Arbeit der Enquete-Kommission von weiteren Maßnahmen profitieren. Eine zukunftsorientierte Bildung steht für eine verantwortungsvolle Begleitung (gerade sozial benachteiligter) Kinder und Jugendlicher. Die soziale Herkunft darf nicht über den Bildungsweg in unserem Land entscheiden. Deshalb haben wir Freie Demokraten in der vergangenen Legislaturperiode die Talentschulen in NRW entwickelt, um gezielt dort zu unterstützen, wo es am meisten nötig ist. Genau diese Idee der besten Aufstiegschancen wurde zum Vorbild im Bund. Im Startchancen-Programm unserer Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger erhalten Schulen beispielsweise ein Chancen-Budget, um in der Schulgemeinschaft, d.h. Schulleitung, Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern, gemeinsam neue Wege zu gehen. Ich wünsche mir, dass Kinder und Jugendliche mit Freude an ihren Lernorten in NRW erleben, dass sich ihr Einsatz lohnt, für ein eigenverantwortliches Leben zu lernen. Nur so können sie ihre Persönlichkeit entfalten und unsere Gesellschaft mitgestalten. Wenn ich also auf Chancengleichheit schaue, dann als Selbstverwirklichungschancen für Kinder und Jugendliche in unserem Land. Langfristig sichern wir so den Wohlstand der Einzelnen und in unserer Gesellschaft. Das ist der Anspruch an meine politische Arbeit in der Enquete-Kommission, Lösungen mit Modellcharakter für eine liberale Bildungspolitik zu entwickeln.
https://fdp.fraktion.nrw/person/franziska-mueller-rech