Vor 73 Jahren, im Juni 1948, führte Ludwig Erhard die Soziale Marktwirtschaft im westlichen Teil Deutschlands ein. Mit dieser Ordnung für Wirtschaft und Gesellschaft — verpflichtet auf die Werte von Freiheit und Verantwortung und mit dem Wettbewerbsprinzip als Kern — wurde den Bürgern ermöglicht, sich ein materiell sicheres Leben zu erarbeiten und ihre individuellen Lebenspläne zu verwirklichen.
Angesichts großer technologischer und geopolitischer Umwälzungen meinen manche Beobachter, das Modell der Sozialen Marktwirtschaft würde im Nebel der Geschichte verschwinden. Während diese Aussage noch als provokanter Weckruf verstanden werden kann, wollen andere Kräfte einen Wechsel hin zu einem System mit planwirtschaftlicher Steuerung erreichen, weil sie der Marktwirtschaft die Tauglichkeit bei der Bewältigung aktueller Probleme und Herausforderungen absprechen.
Ich bin dagegen überzeugt, dass die Soziale Marktwirtschaft auch angesichts der neuen Herausforderungen das einzige Konzept ist, verantwortliches Handeln, Freiheit und Wohlstand zu verbinden. Die Soziale Marktwirtschaft wird ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellen.
Was ist der Bürgerwille?
Tatsächlich hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nämlich 54 Prozent, eine gute Meinung von unserem Wirtschaftssystem. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach vom Frühjahr 2021. Erfreulich ist, dass der Trend nach oben zeigt: Vor zehn Jahren hatten nur 48 Prozent eine gute Meinung von der Sozialen Marktwirtschaft, 2005 waren es sogar nur 25 Prozent, so das Institut. Die Zufriedenheit zeigt sich auch darin, dass mit Blick auf die aktuellen wirtschaftlichen Probleme fast zwei Drittel (64 Prozent) das Wirtschaftssystem nicht grundlegend infrage stellen, das tun nur 18 Prozent. Zugleich glaubt nur eine verschwindend kleine Minderheit von acht Prozent, dass es ihr persönlich besser ginge, wenn der Staat stärker in wirtschaftliche Abläufe eingriffe — das ist der niedrigste Wert seit über 15 Jahren.
Doch sind das nur Lippenbekenntnisse? Bei zahlreichen Entwicklungen und Gesetzen zeigt sich, dass die Bürger mehrheitlich für die Idee eines beschützenden Staates votieren, der eine umfangreiche Garantie für ein gutes Leben abgibt — ein Versprechen, das der Staat niemals wird halten können, sobald er gegen die Marktkräfte agiert. So sollte beispielsweise die Deckelung der Mieten in Berlin günstigen Wohnraum garantieren, weil die Marktkräfte nach der Logik einer das Angebot übersteigenden Nachfrage die Preise steigen ließen. Die Folge war die Verschärfung des Problems, indem weniger Wohnungssuchende ein für sie passendes Angebot bekamen als zuvor.
Nun ist der Mietendeckel vorerst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgehoben, doch wohlgemerkt: Die marktwidrige Regelung ist juristisch an einer Kompetenzüberschreitung des Landes Berlin gescheitert, nicht aber an einer Verteidigung des marktwirtschaftlichen Prinzips und der Bekämpfung des Interventionismus. Dieser Umstand wurde in den Kommentaren nur sehr wenig thematisiert. Der Marktwirtschaft als solcher fehlt in Deutschland zu oft der Anwalt!
Es mutet seltsam an, dass ausgerechnet in dem Land, in dem die Soziale Marktwirtschaft nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs so erfolgreich war, so wenig Verteidigung erfährt. Dabei hat sich das marktwirschaftliche Konzept stets jeder Bürokratie bis hin zu sozialistischen Konzepten als überlegen erwiesen: angefangen damit, als Ludwig Erhard mit der Freigabe der Preise und der Wiederingangsetzung des Preismechanismus als Knappheitsanzeiger die Marktwirtschaft einführte — das gilt sowohl für die Bekämpfung von Hunger und Not in der Bevölkerung in den Nachkriegsjahren als auch für den rasanten Aufbau des materiellen Wohlstands —, bis zuletzt, als es darum ging, einen Stoff zur Immunisierung gegen das Covid-19-Virus zu entwickeln. Der Impfstoff war schließlich nicht das Produkt von „Planification“ oder Sozialismus, sondern wurde von im Wettbewerb stehenden Unternehmen entwickelt.
Auszug aus dem Beitrag „Soziale Marktwirtschaft: Überlegenheit durch Wettbewerb“ von Roland Koch in der Sonderveröffentlichung der Ludwig-Erhard-Stiftung „Wohlstand für Alle – Vorteil Marktwirtschaft“, mit freundlicher Genehmigung der Stiftung.
Es ist das fünfte Heft aus der Publikationsreihe der Ludwig-Erhard-Stiftung. Die Vorteile der Marktwirtschaft aufzuzeigen, Mut zu machen, die Chancen der Marktwirtschaft zu nutzen und mit Optimismus den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen – das ist das Anliegen.
In der Publikation legen Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Medien und unternehmerischer Praxis ihre Erfahrungen und Positionen dar, um der Marktwirtschaft eine Stimme zu geben. So entstand das Heft mit klarer Positionierung im Sinne Ludwig Erhards. Beigetragen haben unter anderem WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt, der ehemalige Bundesverfassungsrichter Hans-Jürgen Papier, IW-Direktor Michael Hüther, Bundeskartellamtspräsident Andreas Mundt, die Geschäftsführerin des Allensbacher Instituts Renate Köcher, die Ökonomen Justus Haucap und Achim Wambach sowie Lilium-Mitgründer Daniel Wiegand. Mit Blick auf die Bundestagswahl wurde zudem ein Blick auf die Wahlprogramme der Parteien gewor-fen und mit den Parteivorsitzenden Armin Laschet (CDU), Markus Söder (CSU), Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Christian Lindner (FDP) und Norbert Walter-Borjans (SPD) gesprochen. Ein Interview mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann, Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung, rundet die Beiträge zur Frage nach der Rolle des Staates ab.