Es ist zu unterstellen, dass der wirtschaftliche Druck auf kleine und mittlere Architekturbüros (3 – 12
Mitarbeiter) im Verlauf der zweiten Jahreshälfte extrem zunehmen wird, da aufgrund der
absehbaren Rezession einerseits Aufträge wegbrechen werden und es andererseits derzeit kaum
noch möglich ist Aufträge zu aquirieren (direkt oder durch VgV-Verfahren, Wettbewerbe etc).
EuGH -Urteil zur Gültigkeit der HOAI verstärkt wirtschaftliche Probleme durch Corona
Dieser Druck wird durch das jüngste EuGH-Urteil zur Gültigkeit der HOAI verstärkt, das im
Ergebnis die Honorarordnung für Architekten als nationales, verbindliches Preisrecht für unzulässig
erklärt hat. In Verbindung mit der vermuteten Rezession wird das zu einem ruinösen Preiskampf
führen, mit dem Ergebnis dass qualitätvolle Architektur nicht mehr zu auskömmlichen Preisen
angeboten werden kann. Daraus folgt, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Marktbereinigung
zugunsten von Großbüros, da diese aufgrund ihrer Marktmacht andere Vertragskonditionen
durchsetzen können und ausserdem für längere Zeit in der Lage sind, eine Basisgeschäftstätigkeit
aufrecht zu erhalten, die es ihnen erlaubt, das Büro im Bedarfsfall wieder hochzufahren. In kleinen
Büros dagegen sind einmal verlorene Strukturen nicht mehr oder nur schwer wieder herstellbar, da
Liquidität zur Vorfinanzierung von Wachstum und die Möglichkeit größere Projekte zu aquirieren,
verloren gegangen ist. Mittelfristig ist daher damit zu rechnen, dass kleine Büros teilweise / in
großer Anzahl vom Markt verschwinden. Diese bereits jetzt zu beobachtende Entwicklung wird sich
also beschleunigen und verstärken.
HOAI durch eine EU-konforme Novellierung retten
Die kleinteilig organisierte Architekturproduktion, verbunden mit den regionalen Bautypologien in
Deutschland, ist Teil einer gewachsenen, regionalen Alltagskultur. Sie ist durchaus vergleichbar mit
der Brotkultur, deren Würdigung als Weltkulturerbe derzeit diskutiert wird. Dieses Kulturgut und
seine nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Bedeutung für die einzelnen Regionen ist durch den
fortschreitenden Konzentrations- und Internationalisierungsprozess gefährdet. Die fehlende
Bereitschaft der Bundesregierung, die HOAI durch eine EU-konforme Novellierung als geltendes
Preisrecht zu retten, bedeutet die bewusste Aufgabe (durch unterlassenes Handeln) der durch
Klein- und Mittelständische Büros geprägten Architektenlandschaft. Dies ist derzeit offenbar
politisch gewollt und sollte somit auch mit der nötigen Klarheit kommuniziert werden.
EU-Vergaberecht zu unpraktikabel
Diese unerfreuliche Situation wird weiter verschärft durch das geltende EU-Vergaberecht. Aufgrund
des sehr niedrigen Schwellenwertes von 214.000 € brutto (als Summe der Honorare aller
erforderlichen Planungsleistungen für ein Bauwerk), über dem die EU-weite Ausschreibung von
Planungsleistungen vorgeschrieben ist, bedeutet, dass jeder umfangreichere Schultoilettenumbau
europaweit auszuschreiben ist. Dieses EU-Vergaberecht ist als ausserordentlich praxisfremd sowie
als zeit-und kostenaufwändig für Auftraggeber und -nehmer mit weitestgehender Sinnfreiheit (bei
Kleinaufträgen) zu hinterfragen.
Förderprogramm „regionale Baukultur“ notwendig
Daher der Vorschlag, ein Förderprogramm “regionale Baukultur” zu propagieren und aufzulegen,
das die Stützung der regional tätigen, kleinen Architekturbüros zum Gegenstand hat. Die aktuelle
Gesundheits- und die daraus folgende Wirtschaftskrise bietet eine nachvollziehbare
Argumentationsgrundlage für die Forderung nach einer (zeitweilige?) Aussetzung / Aufweichung
der EU-Vergaberegeln, um unbürokratisch und zeitnah die überfälligen Schulneubauten und
Sanierungen als regionales Konjunkturprogramm zu nutzen. Dies auf Grundlage von – bezogen
auf den Aufwand – niederschwelligen, regional begrenzten Qualifizierungsverfahren, beispielsweise
in Form von jurierten Mehrfachbeauftragungen. Selbstverständlich sind in diesen Verfahren die
Aspekte des nachhaltigen Bauens und des Klimaschutzes ebenfalls zu berücksichtigen.
Selbstverpflichtung der Kommunen zu auskömmlicher Honorierung
Ein weiterer, wichtiger Aspekt eines solchen Programms wäre die Selbstverpflichtung der
Kommunen, Honorarangebote unter den Mindestsätzen der HOAI als unauskömmlich
auszuschließen.
Gebaute Identität der Region
Als denkbares Vorbild für den Erfolg einer derartigen Strategie ist die baukulturelle Situation in
Vorarlberg oder auch in Belgien zu nennen, wo der sehr spezifische Umgang mit der
Transformation regionaler Traditionen in die Moderne die gebaute Identität sehr positiv prägt.
Städtetag als Verbündeter
Mit der Hilfe und Unterstützung des Städtetages sollte ein derartiges Förderprogramm bundesweit
eingefordert werden um als kurzfristige Maßnahme mit Mitteln des Bundes (im Rahmen des
Corona Rettungsschirms für Kommunen) umgesetzt zu werden. Eine gute Möglichkeit, trotz der
sich abzeichnenden Finanznöte der Kommunen die dringend erforderlichen Schulsanierungen und
-neubauten anzugehen. Ein weiteres Ziel ist, mit den gezielt und zweckgebunden eingesetzten
Steuermitteln den öffentlichen Reichtum zu mehren, dies sowohl im materiellen wie auch im Sinne
einer qualitätvollen gebauten Umwelt.
Stabilisierung sinnvoller Strukturen / Novellierung Vergaberecht
Langfristig böte sich weiterhin die Chance, die Sinnhaftigkeit der ausserordentlich zeit- und
kostenaufwendigen EU-Vergaberegeln zu hinterfragen und denkbarerweise seitens der
öffentlichen Auftraggeber einen Veränderungsdruck aufzubauen.
Kurzfristig hätte dieses Konjunkturpaket eine Stabilisierung von sinnvollen Strukturen und die
zügige Umsetzung der überfälligen Schulbaumaßnahmen zur Folge, also eine reale, lehrbuchhafte
Win-Win-Situation.
- Reinhard Angelis, Architekt BDA
- Köln
Regionale Architektur-Vielfalt steht in Deutschland vor dem Aus. Vorbild einer Gegen-Strategie ist die baukulturelle Situation in Vorarlberg oder in Belgien.